Besuch Synagoge Stuttgart
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Jüdisches Leben in Stuttgart heute

 

Am 15. August hatten 24 Mitglieder des Solitude-Chors und des Uni-Orchesters Hohenheim die Gelegenheit, die Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Stuttgart zu besuchen und Einblicke in die religiöse Kultur und das Gemeindeleben zu gewinnen. Der Besuch stand unter der Leitung von Rachel Dror, die 1939 vor dem Nazi-Terror nach Palästina fliehen musste, nun aber bereits seit vielen Jahren unermüdlich für die Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen wirbt.


Der Abend begann mit einem dreigängigen Menü in dem der Synagoge angeschlossenen koscheren Restaurant. Grundlage der jüdischen Speisegesetze sind die Gebote der Tora (der fünf Bücher Mose). So ist nicht erlaubt, milchige und fleischige Speisen gleichzeitig einzunehmen oder im selben Geschirr zuzubereiten (nach 2. Mose 23.19: Und sollst das Böcklein nicht kochen in seiner Mutter Milch). Eine gut ausgestattete jüdische Küche verfügt somit über getrennte Spülen, Geschirr, Zubehör und Schränke für beiderlei Nahrungsmittel. Ein anderes Gebot besagt, dass nur Tiere mit gespaltenen Hufen verspeist werden dürfen (nach 3. Mose 11.3: Alles, was die Klauen spaltet und wiederkäut unter den Tieren, das sollt ihr essen.) Das Restaurant in den Räumen der Synagoge erlaubt es auch orthodoxen Juden, gemäß ihrer Vorschriften zu speisen. Den Besuchern wurde als Vorspeise "gefilte Fisch" gereicht, der Hauptgang bestand aus Falafel mit Sesamsoße und Salat. Ein Schokoladeneis auf Kokos- und Sojabasis rundete das Menü ab.

Im Anschluss an das Abendessen begab sich die Besuchergruppe in den sakralen Hauptraum der Synagoge. Das im 19. Jahrhundert im byzantinischen Stil erbaute Haus fiel wie so viele andere den Flammen in der Reichspogromnacht zum Opfer. Die damaligen Gemeindemitglieder wurden unmittelbar nach dem Brandanschlag gezwungen, eigenhändig die Überreste zu beseitigen. Nach Kriegsende war die ursprünglich über 4000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde auf knapp 200 geschrumpft. Als in den folgenden Jahren die Zahl der Rückkehrer und Flüchtlinge aus osteuropäischen Gebieten erheblich anstieg, wurde an den Wiederaufbau der Synagoge gedacht. Die Einweihung des heutigen Gebüudekomplexes fand im Mai 1952 statt. Frau Dror erläuterte den Besuchern die Gestaltung und die Funktionen des zentralen Gebetsraumes. Sakraler Mittelpunkt ist der nach Jerusalem ausgerichtete Toraschrein. Hinter einem Samtvorhang verbergen sich die Rollen der Fünf Bücher Mose. Oberhalb des Schreins leuchtet das Ewige Licht. Die Torarollen werden zur Schriftlesung aus dem Allerheiligsten geholt. Jedes männliche Mitglied über 13 Jahre, das feierlich in die Gemeinde aufgenommen wurde (Bar Mizwa), kann zur Lesung aufgefordert werden. Die weiblichen Gemeindemitglieder können den Gottesdienst von der Empore aus verfolgen. Flankiert wird der Schrein von zwei siebenarmigen Leuchtern (Menora). Rechts vom Schrein befindet sich der Platz des Rabbiners, der der Gemeinde gegenüber sitzt und von diesem Platz auch die Predigt hält. Auf der linken Seite nimmt der Kantor Platz, der während des Gottesdienstes die Gebete vorträgt. Er ist in der Gemeinde auch für die Unterweisung der Jungen und Mädchen zuständig, deren Bar bzw. Bat Mizwa bevorsteht. Die Seitenwände des Gebetsraumes zieren die Symbole der Zwölf Stämme Israels. Abbildungen von Menschen findet man nicht, gemäß des Gebots "Du sollst dir kein Bildnis machen, keinerlei Gleichnis, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, noch des, das im Wasser unter der Erde ist" (2. Mose 20.4. und 5. Mose 5.8). Teil der Synagoge ist auch das rituelle Bad (Mikwe), das vom Nesenbach gespeist wird, da es fließendes Wasser sein muss. Außer dem Restaurant ist der Synagoge eine jüdische Grund- sowie eine Religionsschule (bis zum Abitur) angeschlossen, in der jüdischer Religionsunterricht und Hebräischunterricht von der ersten Klasse an angeboten wird. Die Schule steht auch nichtjüdischen Kindern offen. Einen wichtigen Beitrag zum sozialen Leben der Gemeinde trägt der Wizo-Verein bei, eine weltweite überparteiliche Frauenorganisation, die soziale Projekte in Israel unterstützt und auch in Stuttgart eine Gruppe unterhält. Der Verein veranstaltet jährlich den Wizo-Basar, der fest im Veranstaltungskalender der Stadt verankert ist.

Frau Dror eröffnete auch Einblicke in die Integration der Israelitischen Gemeinde in die Gesellschaft; analog zur Kirchensteuer entrichten die Gemeindemitglieder eine Synagogensteuer. Heute umfasst die Stuttgarter Gemeinde rund 1900 Mitglieder, die zum Großteil aus den ehemaligen GUS-Staaten zugewandert sind. Entsprechend findet man die Ankündigungen nicht nur in deutscher und hebräischer, sondern auch in russischer Sprache. In ganz Württemberg gibt es etwas mehr als 3000 Mitglieder jüdischer Gemeinden. Leider muss auch erwähnt werden, dass es immer noch Übergriffe und Anschläge gegen die Synagoge gibt, so dass ständiger Polizeischutz und Personenkontrollen beim Betreten des Gebäudekomplexes erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund kann Rachel Drors Einsatz für gegenseitige Verständigung und Toleranz sowie die Erinnerung an die Schrecken des 20. Jahrhunderts nur bekräftigt werden. Der Solitude-Chor hofft, mit seinem derzeitigen Projekt, der europäischen Erstaufführung des Holocaust-Oratoriums "i believe" des kanadischen Komponisten Zane Zalis in seiner vollständigen Fassung einen kleinen Beitrag dazu leisten zu können, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten und zugleich unablässig an einem harmonischen Miteinander der Religionen gearbeitet wird.


Wer sich weiter über die Stuttgarter Gemeinde, ihre Geschichte und Aktivitäten informieren möchte, dem sei die Linksammlung auf der Homepage empfohlen (http://www.irgw.de/links.htm), die auf eine Fülle interessanter Websites verweist. Zur jüdischen Geschichte im Südwesten Deutschlands bietet folgende Seite eine Vielzahl interessanter Informationen: http://www.alemannia-judaica.de/index.htm

Kristin Rheinwald